Gott ist weder auf menschliche Begriffe zu bringen, noch lässt er sich von uns auf ein bestimmtes Handeln festlegen. In völliger Freiheit wendet er sich dem Menschen zu – dem Volk Israel, mit dem er seinen Bund geschlossen hat, und allen, die sich ihm öffnen, indem sie das Evangelium Jesu Christi annehmen.
Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom.
O Tiefe des Reichtums,
der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unergründlich sind seine Entscheidungen,
wie unerforschlich seine Wege!
Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt?
Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
Oder wer hat ihm etwas gegeben,
sodass Gott ihm etwas zurückgeben müsste?
Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin
ist die ganze Schöpfung.
Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.
Wohin Sie auch schauen, Sie werden keinen Menschen entdecken, der wie Sie ist. Jeder ist anders! Jeder ist einmalig. Je weiter weg Sie schauen, desto deutlicher nehmen Sie das wahr! Ein Bayer ist anders als wir als Rheinländer, erst recht ein Afrikaner oder ein Asiate. Jeder ist anders. Selbst wenn Sie in Ihre engste Umgebung schauen, keiner ist wie Sie: Ihre Tochter, ihr Sohn, ihre Mutter, ihr Vater, Ihr Frau, Ihr Mann – jeder ist einmalig und darum anders als Sie, selbst wenn Sie sich gleichen. Das Anderssein ist geradezu die Voraussetzung, dass ich lebe. Wäre meine Mutter nicht eine Frau, mein Vater nicht ein Mann, es gäbe mich nicht.
Wie geht es Ihnen mit dem Anderssein der anderen? Wie können Sie damit leben, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das wie Sie ist: keinen Menschen und erst recht kein anderes Geschöpf. Wie können Sie damit leben, dass selbst Menschen, die Ihnen ganz vertraut sind, immer noch etwas Fremdes und Geheimnisvolles behalten?
Manche erleben das als Bedrohung, die Aggression weckt oder sie auf Distanz gehen lässt. Andere sind geradezu fasziniert, fremde Menschen oder Bräuche kennenzulernen. Sie legen weite Strecken zurück, um andere Länder und Kulturen zu erleben; sie gehen zum Italiener zum Essen oder zum Chinesen, sie sind kontaktfreudig, wenn ein Fremder auftaucht.
Wie geht es Ihnen mit dem Anderssein der anderen? Mich erfreut diese Vielgestaltigkeit, auch wenn mir ab und zu der Atem stockt, auch wenn ich erst über eine Schwelle muss. Ich bin fasziniert vom Ideenreichtum unseres Schöpfers. Wie kriegt der das bloß hin, frage ich mich: kein Mensch wie der andere, kein Gesicht wie das andere, kein Charakter wie der andere: jeder einmalig!
Nun gibt es Gruppen, die sind glücklich, wenn alle, die dazugehören, möglichst ähnlich sind, in denen alles, was anders ist, stört. Manche Vereine liefern sich selbst dem Tod aus, weil kein Neuer eine Chance hat, Neuzugezogene werden oft nicht in die Nachbarschaft aufgenommen, weil die, die schon lange dort wohnen, sich zur Clique entwickelt haben. Fremde haben es mitunter nicht leicht.
Zu diesen Gruppen, die glücklich sind, wenn ihre Mitglieder sich möglichst ähneln, gehört für mich auch meine Kirche, die katholische Kirche – und wahrscheinlich ist das in der evangelischen Kirche so anders auch nicht.
Es stimmt mich mitunter traurig, ja manchmal auch zornig, wenn ich wahrnehme, wie in der Kirche mit denen umgegangen wird, die anders sind: die anders auf den gemeinsamen Glauben sehen, die Fragen stellen, wo man Antworten bevorzugt, die in Situationen leben, die nicht der Norm entsprechen.
Wie schnell werden da Menschen exkommuniziert, bevor überhaupt die Kommunikation mit ihnen gesucht wurde. Wie viele Chancen werden vergeben, weil wir Gaben oder Begabungen nicht zum Zuge kommen lassen, die es in reichem Maße gibt, die aber nicht erwünscht sind, weil sie anders sind. Wer nicht in die Norm passt, für den ist kein Platz „in diesem ehrenwerten Haus.“
Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen – das sagt Jesus. Stellen wir uns ein normales Mehrfamilienhaus vor. Dort können Sie mit allen Sinnen wahrnehmen: Jede Wohnung ist nach eigenem Geschmack eingerichtet, jede Wohnung hat einen anderen
Stallgeruch, kein Bewohner ist wie der andere. Heilige und Sünder, Traurige und Glückliche, Könner und Versager, Kinder und Erwachsene, Einheimische und Fremde, Frauen und Männer, alle leben unter einem Dach! Das ist wirklich katholisch, übersetzt: offen für alle, allumfassend. Das ist wahrhaft evangelisch!
Diese Zusammengehörigkeit dessen, was sich zunächst fremd zu sein scheint, hat ihren tiefsten Grund in Gott selber, denn auch Gott ist anders!
Zwei Professoren der Theologie, so erzählt eine Anekdote, hatten oft darüber diskutiert, wie es im Himmel sein wird. In bunten Farben hatten sie den Himmel ausgemalt. Aber ganz sicher waren sie sich nicht. So versprachen sie einander: Wer von uns beiden zuerst
stirbt, erscheint dem anderen im Traum und sagt ihm, wie der Himmel wirklich ist. Nun starb der erste und erschien, wie versprochen, dem anderen im Traum. Der überfiel ihn ungeduldig mit der Frage: Und? Wie ist es dort?
Die Antwort: Total anders.
Ja, der Himmel und Gott sind total anders, als alles, was menschliche Phantasie aussagen könnte – und das ist auch gut so: Könnte ich verstehen und mir ausmalen, wer Gott ist, warum er so und nicht anders ist und handelt, dann müsste Gott so klein sein, dass er in meinen begrenzten Verstand hineinpasste. Er wäre kleiner als mein Kopf. Entsprechend wären seine Möglichkeiten ebenso begrenzt wie meine.
Könnte ich Gott verstehen, wäre das der Tod meiner Hoffnung. Gott wäre entzaubert, das Geheimnis wäre ihm genommen, er wäre auf mein Format geschrumpft – und das wäre zu klein für ihn und für die Hoffnung, die mich leben lässt.
Gott ist anders – Gott sei Dank! Das ist für mich erlösend, das macht mir Hoffnung. Dadurch bekommt mein Leben Perspektiven, die meinen begrenzten Horizont übersteigen. Wir Menschen sind oft so kleinkariert mit unserer Klugheit aber auch mit unserer Unvernunft, mit unserem Gutsein, aber auch mit unserer Bosheit, mit unserer Sehnsucht nach Weite wie auch mit unserer Enge. Wie gut, dass Gott nicht ist wie wir!
Gott ist anders. Für diese befreiende Botschaft nehme ich gerne in Kauf, dass ich ihn manchmal nicht verstehe, dass er mir zumutet, mit offenen Fragen zu leben. Das hält mich lebendig, das hält die Sehnsucht wach, die mich belebt.
Wie gut, dass Gott anders ist.
Bärbel Schumacher