In jener Zeit sprach Jesus:
Ich bin der gute Hirt.
Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.
Der bezahlte Knecht aber,
der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen,
lässt die Schafe im Stich und flieht;
und der Wolf reißt sie und zerstreut sie.
Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt.
Ich bin der gute Hirt;
ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne;
und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.
Liebe Christinnen und Christen in unseren Gemeinden!
Vielleicht geht es Ihnen genauso wie mir:
Wenn ich beim Spazierengehen oder im Urlaub oder auch beim Autofahren auf einmal einen Hirten mit seiner Schafherde entdecke, dann freu ich mich immer. Das Ganze sieht idyllisch aus. Psalm 23 kommt mir in den Sinn: Der Herr ist mein Hirte. Er lässt mich lagern auf grünen Auen…
Wenn ich dann allerdings weiter nachdenke, fällt mir ein: der Hirte ist nicht nur jetzt bei seiner Herde, im Sonnenschein, am hellen Tag, sondern auch, wenn es in Strömen regnet, wenn der Wind pfeift, in der Nacht, auch dann, wenn ein wildes Tier kommt, wenn ein Schaf krank ist, ….
Das Bild vom guten Hirten spricht mich an. Der Evangelist hat in seinem Evangelium an dieses Wort Jesu vom guten Hirten zu einer Zeit erinnert, als die ersten Christinnen und Christen sich von dem Gedanken verabschieden mussten, dass Jesus noch zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde. Zu einer Zeit, in der die ersten Gemeinden durch die Apostel und ihre Nachfolger gegründet waren und die Gemeinden überlegen mussten, wie alles weitergehen sollte. Das Bild vom guten Hirten kennt auch der Evangelist Lukas – im Gleichnis vom verlorenen Schaf. Aber jetzt im Johannes-Evangelium bezeichnet sich Jesus ausdrücklich selbst als der gute Hirte. Der bereit ist, für die Schafe sein Leben hinzugeben, dem an den Schafen liegt, an jedem einzelnen. Und der aus einer tiefen Verbundenheit zu Gott lebt.
So einen Hirten brauche auch ich heute, wenn ich mein
Leben aus meinem Glauben heraus gestalten will.
Von so einem guten Hirten weiß ich, dass er mich
mit viel Freiheit meine Wege gehen lässt
und mich doch im Auge behält
und mich auch vor Abwegen bewahrt.
Der Auferstandene als guter Hirt, er höchst persönlich
- oder auch verkörpert in einem Menschen -
damit kann ich ganz viel anfangen.
Ist das alles nicht auch ein guter Ausgangspunkt für uns als Kirche und Gemeinden heute?
In der Kirche ist vieles in Bewegung. Einerseits suchen Menschen nach neuen Wegen, nach „neuen Weiden“, nach einem erfrischenden Wasser... Andererseits pfeift jedem und jeder, der sich heute zur Kirche bekennt, ob öffentlich oder privat - auch mitunter der Wind ins Gesicht. Unverständnis oder Wut über „Verordnungen“, Entsetzen über den Umgang mancherorts mit Missbrauch, mangelnde Offenheit oder Toleranz,…
Menschen wenden sich enttäuscht oder wütend oder resigniert von der Kirche ab. Gelten in der Herde nur Schafe, die der Norm entsprechen? Und wenn ja, welcher Norm?
Wo bleibt da all das an Weite, was das Evangelium uns verheißt?
Ich denke, wir brauchen heute mehr denn je Hirten und auch Hirtinnen, im Kleinen wie im Großen, Menschen, die aus dem Hirtengeist Jesu leben und die als Getaufte und Gefirmte füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Und mutig weiter denken und neue Wege gehen. Ich bin überzeugt davon, dass Verkündigung viel bunter ist und sein kann, als viele denken!
Bärbel Schumacher