In jenen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib.
Da wurde Elisabeth vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.
Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten, er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
Wir feiern heute eines der ältesten Marienfeste. Eine der Legenden, auf die es zurückgeht, hat ihre Ursprünge bereits im 2. Jahrhundert in einem Hymnus, in dem die Apostel beschrieben werden, die um das leere Grab Marias stehen und dem emporschwebenden Leichnam nachschauen. Die
Legende wird später erweitert und ausgeschmückt: Maria schwebt in einer Lichtaura empor. Ihre Kleider bleiben zurück im Sarkophag, um die Gläubigen zu stärken und zu schützen. Unzählige weitere Legenden ranken sich im Laufe der Jahrhunderte um das Fest. So finden sich auf dem Platz, an dem der Leichnam lag, allerlei Kräuter und duftende Rosen.
Die zurückgebliebenen Kleider Marias begründen als Reliquien große Wallfahrten, wie z.B. die Heiligtumsfahrt in Aachen und die Rockwallfahrt in Trier. Die duftenden Rosen und Kräuter, die in den Legenden vorkommen, mögen mit dazu geführt haben, dass wir an diesem Festtag Kräuter segnen. Was von Maria zurückgeblieben ist, nachdem sie in den Himmel aufgenommen wurde, das soll den Gläubigen zum Heil und zum Segen dienen. In all den Legenden und Formen der Frömmigkeit, die sich im Laufe der Jahrhunderte überliefert haben, kommt eines zum Ausdruck: Maria ist die Heilige schlechthin und Vorbild für uns Christen. Sie war die erste, die "Ja" gesagt hat zum göttlichen Kind. Sie war bereit, den Retter, den Heilsbringer, den Sohn Gottes zu tragen. Das hebt Maria heraus, vom Beginn ihrer Schwangerschaft an.
Das Evangelium heute erzählt davon. Marias Cousine Elisabeth spürt sofort, dass sie da einen ganz besonderen Besuch bekommen hat, als Maria zu ihr kommt. Und selbst das Kind, das sie selber trägt, der heilige Johannes, hüpft vor Freude im Leib seiner Mutter. Maria dagegen antwortet auf den Gruß Elisabeths mit dem Lobpreis Gottes, dem Magnifikat. Sie lobt und preist Gott dafür, dass sie den Retter in sich trägt, den die Israeliten schon seit Generationen erwarten. Was seit Langem verheißen ist, erfüllt sich nun durch sie, eine einfache Frau aus dem Volk. Durch sie kommt Gott zu den kleinen Leuten. Durch sie erhält die Welt in Jesus Christus eine neue Ordnung.
Von Anfang an haben die Gläubigen die herausgehobene Rolle der Mutter Gottes erkannt und sie dafür verehrt. Sie ist die Fürsprecherin bei Gott für die Lebenden und die Toten. Sie ist die Mutter, bei der die Menschen Schutz und Zuflucht suchen, wenn Leid und Schmerz übermächtig werden. Sie musste selbst in ihrem Leben Leid durchstehen und ist dennoch Gott treu geblieben und hielt zu ihrem Sohn. So kann sie uns Menschen nahe sein in jeder Lebenssituation. Die vielen Legenden, die sich im Laufe der Jahrhunderte um ihr Leben gerankt haben, zeigen genau dies. Sie nehmen menschliche Bedürfnisse und menschliche Anliegen auf und zeigen den tiefen Glauben daran, dass Maria für uns Menschen bei Gott Fürbitte einlegt. Sie hat der Welt Gottes Sohn geschenkt. Nun steht sie in umgekehrter Richtung bei Gott für die Welt ein.
Was wir heute feiern, ist daher auch ihre besondere Nähe zu ihm. Sie ist für uns wie eine Verheißung: Dort, wo wir sie glauben, können auch wir einmal hingelangen. Die Mutter Gottes steht so für das Heil, das in Jesus Christus begonnen hat.
Bärbel Schumacher