Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Thomas, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen:
Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei.
Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch!
Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände!
Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm:
Mein Herr und mein Gott!
Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben.
Gewiss fallen auch Ihnen einige Menschen aus Ihrem Lebensumfeld ein, denen in dieser Woche so gar nicht nach Ostern zumute ist. Die vielleicht große Sorgen haben oder die um einen lieben Menschen trauern oder die einfach nicht wissen, wie es weitergeht. Wir alle haben das Osterfest ganz anders als in vielen Jahren vorher begangen. Zwei unserer Küster, Hans-Josef Leclerq aus St. Josef/Ost und Christus König/Busch, und Harald Honings aus St. Barbara/Broicher Siedlung sind innerhalb der vergangenen 3 Wochen plötzlich gestorben.
Vielleicht hat auch Sie nach den vielen Wochen der Ansteckungsgefahr durch das Corona-Virus und der Kontaktsperre, nach den vielen erschreckenden Bildern und Zahlen im Fernsehen fast schon der Mut verlassen. Wie soll das alles bloß weitergehen? Wann können wir endlich wieder zu einem „normalen“ Leben zurückkehren?
Und trotzdem haben Sie sich aufgemacht und sind zur Kirche gekommen, um still zu beten, eine Kerze anzuzünden, oder Sie haben unsere Internetseite angeklickt, um das Evangelium und den Impuls zu lesen.
Und da lesen wir heute vom Apostel Thomas. Erst ist er nicht da, als Jesus zu seinen Freunden kommt. Er hat etwas Wesentliches verpasst und ist enttäuscht. Dann hat er Bedenken – und er zweifelt. Alles uns sehr vertraut. Aber gerade darin ist er uns nahe, gerade er kann uns zeigen: Jesus nimmt uns so, wie wir sind. Mit unseren Zweifeln und Ängsten, mit all dem, was uns in diesen Wochen durch den Kopf und durch das Herz geht.
Thomas wird uns da sozusagen als Musterexemplar des Zweiflers vor Augen gestellt. Er hat alles aufgegeben, um Jesus zu folgen. Als einer seiner Jünger musste er erleben, welch grausames Ende seine Hoffnungen am Kreuz nahmen. Und nun hört er die aufgebrachten Berichte seiner Freunde und einiger Frauen. Sie behaupten, er lebe. Was Thomas da zu Ohren kommt, sind keine kriminalistischen Beweisführungen oder medizinische Nachweise. Es sind Erfahrungen, die seine Freunde gemacht haben, er aber nicht.
Thomas ist nicht dabei, als sich Jesus als der Auferstandene seinen Jüngern und Jüngerinnen zeigt.
Er ist kein Augenzeuge der Auferstehung, genauso wenig, wie wir es sind. Es gibt keinen Live-Mitschnitt, den wir übers Internet abrufen könnten. Kein Wunder also, dass Thomas die Auferstehung infrage stellt: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe, und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hände nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“. Thomas ging damit als der ungläubige Jünger in die Geschichte ein.
Mit seinen laut ausgesprochenen Zweifeln könnte er uns allen jedoch ein Vorbild sein, ein Vorbild im Umgang mit Zweifeln.
Statt sich in ein stilles Kämmerlein zurückzuziehen und alle für verrückt oder taktlos zu erklären, statt die bohrenden Fragen herunterzuschlucken und alles mit sich allein auszumachen, statt die Unsicherheit einfach zu übergehen und sich ja nichts anmerken zu lassen, macht Thomas seinem Zweifel laut Luft. Er spricht offen aus, was ihn verunsichert.
Ja, er stellt sogar die Glaubwürdigkeit seiner Freunde in Frage. Er sucht die Auseinandersetzung. Es erfordert eine gute Portion Courage, die eigenen Zweifel nicht zu übergehen, zu den eigenen Unsicherheiten zu stehen und sie vor allen anderen auszusprechen.
Thomas kehrt trotz der Zweifel der Gemeinschaft nicht den Rücken zu. Er sucht sogar ihre Nähe: Er hält an ihr fest, setzt sich weiter mit ihr auseinander.
Und auf der anderen Seite gibt es die Jünger, von denen wir lernen, wie wir mit Menschen umgehen können, die Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit und unserem Glauben äußern:
Die Jünger grenzen Thomas als vermeintlichen Miesepeter nicht aus,
sie tun seine Zweifel nicht ab, sie kehren seine Fragen nicht vom Tisch, sie stellen die Rechtmäßigkeit seines Glaubens nicht in Frage, sie liefern keine vorschnellen Erklärungen oder servieren ihn mit dogmatischen Antworten ab.
Thomas hat auch nach den laut geäußerten Zweifeln Platz in der Gemeinschaft der Jünger. Er wird, auch wenn er mit seinen Fragen unbequem ist, nicht von den anderen gemieden oder gar geschnitten.
Das heutige Evangelium ist - so gesehen - die Ermutigung, dass wir einander unsere Zweifel zumuten und zugestehen: in der Familie, in der Beziehung, in der Kirche, in der Gemeinde, im Zwiegespräch mit Gott. Es ist eben nicht alles glasklar und wie das so schön heißt, alles easy. Das wird uns in diesen Tagen sehr deutlich: Wenn der Tod in unser Leben eingreift, wenn ein lieber Mensch krank wird, wenn jemand Unrecht widerfährt, wenn das Leben ganz anders ist als sonst, dann können wir ganz schön in Zweifel kommen. Thomas zeigt uns, dass wir diese Zweifel auch aussprechen können und darum nicht weniger wert sind.
Wo das möglich ist, dass ich meine Zweifel benenne, fühle ich mich ernstgenommen, angenommen und geliebt.
Mit den Worten der Schriftstellerin Gudrun Pausewang klingt das dann so:
Zweifelst du?
Ich glaub für dich.
Zweifle ich,
glaubst du für mich.
Schlaf! Ich wache.
Wach! Ich ruh.
Tröstlich der Schimmer:
Einer von uns, ich oder du,
einer bläst immer
in die Glut.
Das zu wissen, tut gut.
Bärbel Schumacher