Die Beziehungspflege im alltäglichen Miteinander wird durch die vielen notwendigen und schützenden Auflagen während der Corona-Pandemie auf eine harte Probe gestellt. Mit dem Verzicht auf physische Nähe zeigt sich eine besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge für andere Menschen. Trotzdem wiegt der Verzicht schwer. Für uns Menschen kommt es schließlich wesentlich darauf an, miteinander in Beziehung zu sein, im privaten und persönlichen Bereich, aber auch in der Gemeinschaft der Kirche. Auf der Beziehungsebene entscheidet sich für uns die Frage, ob wir wirklich ganz und gar angenommen werden und auch selber Annahme schenken können. Dies gehört wesentlich zu unserer menschlichen Würde. Es bleibt zu hoffen, dass wir uns bald wieder auch physisch mehr Nähe schenken können.
Wir sind also ganz auf Beziehung angewiesen. Das gilt insbesondere auch für unser Verhältnis zu Gott. Mit dem Gleichnis des Evangeliums vom 26. Sonntag im Jahreskreis zeigt Jesus uns einmal mehr auf, wie innig und persönlich wir Gottes Beziehung zu jeder und jedem von uns verstehen dürfen. So wie ein Vater seine Kinder anspricht, will Gott seine Beziehung zu uns verstanden wissen. Mit einer großen Liebe spricht Gott uns an, wie der Vater die Söhne: „Mein Kind…" Ich möchte Sie einladen, ein wenig bei dieser Anrede zu verweilen, ja, sie zu genießen. Es tut gut, sich darin sicher sein zu dürfen, dass die Bindung Gottes zu uns Menschen immer eine verlässliche und stabile ist. Unser Glaube beschreibt vor allem die lebendige und lebensnotwendige Beziehung Gottes zu uns durch seinem Sohn Jesus Christus und durch alle Menschen, die unserer Bereitschaft zur liebevollen Beziehung bedürfen.
Im Gleichnis hören wir, dass es den Söhnen erst spät oder gar nicht gelingt, durch die liebevolle Anrede des Vaters Verantwortung für das zu übernehmen, was für den Erhalt der Lebensgrundlage - der Mitarbeit im Weinberg - notwendig ist. Der bis zuletzt unwillige Sohn verspielt damit sein Erbe und seine Zukunft. Es mutet vielleicht etwas beunruhigend an, dass Gottes väterliche Liebe so groß ist, dass sie erträgt, ohne die rechte Antwort zu bleiben. Gleichzeitig weitet das Gleichnis noch einmal das Verständnis für die Größe der Liebe Gottes. Sie gilt nun den Zöllnern und Sündern, denen die lieb- und beziehungslos leben und handeln. Vielleicht ahnen sie in einem Winkel ihres Herzens schon längst, wie einsam es macht, beziehungsfeindlich zu leben.
Gott hört nicht auf groß von uns zu denken, vor allem von denen, die ihr Herz anklagt, die vielleicht entmutigt sind von sich selbst und nicht mehr so recht an die große Liebe, an Gott glauben können.
Von Gott her dürfen wir uns neu annehmen und hoffen, dass Gott uns immer neu Größe verleihen will. Wer aus einer solchen Größe lebt, kann andere nicht klein machen. Solchen Menschen ist daran gelegen, in Beziehung zu sein mit allen Menschen, besonders denen, die sich einer echten Beziehung verweigern.
Vater unser im Himmel, dir sei Dank für all deine Nähe, die du uns auch in größter Not und Sorge, in Schuld und Zweifel nicht versagst. Denn wir haben mit allen Menschen die Würde und Gnade der Gotteskindschaft, die auf deine Nähe hoffen darf.
Ihr
Guido Fluthgraf, Pfr.