In jener Zeit sprach Jesus: Amen, amen, ich sage euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber.
Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.
Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.
Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.
Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen.
Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte.
Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.
Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört.
Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden.
Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.
Evangelium: Joh 10, 1-10
Wie schön kann es sein, wenn man die Tür hinter sich zu machen kann:
endlich Ruhe, endlich daheim in den eigenen vier Wänden, wo einem alles vertraut ist, aufatmen können nach einem Tag, an dem ich nur unterwegs war.
Die geschlossene Tür schafft Raum, in dem es sich leben lässt. Das haben „vor Corona“ viele gewiss schon mal gedacht.
Das Gegenbild allerdings ist auch wahr: wo Türen nicht mehr geöffnet werden, dort stirbt das Leben.
Auch wenn wir eingesehen haben, dass es vernünftig war und ist, Kontakte zu beschränken und zu Hause zu bleiben: wenn Türen verschlossen sind, dann fehlt uns eine wesentliche Lebensqualität.
Das gilt auch für unseren eigenen Lebensbereich: eingesperrt zu sein, die Tür nicht mehr öffnen zu können, ist genauso schlimm wie die ständig offene, zugige Tür.
Es ist leidvoll und traurig
wenn niemand mehr an die Tür kommt,
wenn niemand mehr zu uns kommt.
Leben ist nur möglich, wenn Türen geöffnet und auch zugemacht werden
können.
Raus gehen und Wiederheimkehren, andere hereinlassen, sie empfangen und wieder gehen lassen, die Tür aufmachen und sie wieder schließen - so pulsiert das Leben. Vielleicht lernen wir auch das jetzt wieder schätzen. Wie haben wir uns gefreut, als Türen der Geschäfte wieder geöffnet wurden. Und wie sehr sehnen Menschen in Altenheimen den Zeitpunkt herbei, dass ihre Angehörigen wieder durch die Türe kommen können.
Ich bin die Tür - hat Jesus im Evangelium gesagt.
Der Evangelist Johannes hat Jesus mit dieser Symbolik zusammengebracht:
mit der Grenze von Innen und Außen, mit dem Wechsel von Schließen und Öffnen, mit der Möglichkeit, hinein und auch wieder hinaus zu gehen.
Da ist der sichere Pferch mit dem Schutzraum, es riecht vertraut unter den Schafen und sie kennen jedes Geräusch, aber sie können nicht ständig drinnen bleiben, denn draußen ist die Weide mit dem frischen Futter.
Sie müssen hinaus trotz der Gefahr, verloren zu gehen oder Raubtieren zum Opfer zu fallen. Immer drinnen lässt sich nicht überleben, immer draußen ebenso wenig.
Das Leben pulsiert an der Tür zwischen Innen und Außen.
Ich bin die Tür - Jesus nahe sein heißt: wechseln können von der Bedrohung in den Schutz, nach dem Kräftesammeln wieder hinaus, von der Enge in die Weite.
Ich bin die Tür - von Jesus wird erzählt, dass er sich zum Beispiel zurückgezogen hat zum Beten, aber auch, dass er zu anderen ins Haus gegangen ist.
Dabei hat er innere Türen geöffnet und den Menschen geholfen, sich für Gott zu öffnen und für ein Leben voller Vertrauen.
Und dann sehen wir ihn wieder ganz anders vor uns: wie er den Händlern im Tempel die Tür weist.
Es wird erzählt, dass bei seinem Sterben der verhüllende Vorhang im Tempel zerreißt, wieder ein Bild dafür, dass Jesus eine Tür öffnet, in diesem Moment die Tür zu Gott selbst. Denn der Vorhang im Tempel verhüllte ja das Allerheiligste.
Es wird berichtet, dass das Grab verschlossen war mit einem großen Stein, aber wenig später fand sich der Verschlussstein weggerollt.
Und weiter wird berichtet, dass sich nach dem Tod Jesu seine Freunde hinter schützende Mauern zurückgezogen haben, er aber die verschlossene Tür überwindet und die Freunde ansteckt, so dass sie am Pfingsttag hinaustreten in die Öffentlichkeit und sie Jesus verkündigen als den, der uns die Tür zum Himmel geöffnet hat.
Die Spur des Schließens und Öffnens lässt sich in der ganzen Heilsgeschichte ausmachen.
Ich bin die Tür - damit sagt Jesus: Ich bin die Tür und du hast die Chance zu tun, was dir zum Leben hilft: mach die Tür zu und schütze dich, wenn es nötig ist, zieh dich zurück, setz eine Grenze, wenn du sie brauchst.
Ich bin die Tür - heißt aber auch: Die Tür ist da, mach sie auf! Sei nicht verschlossen! Geh auf andere zu! Oder auch: Lass die Tür wenigstens einen Spalt breit offen, lass noch ein wenig Licht und Luft durchdringen.
Jesus nahe sein, das heißt: lerne, beides in dein Verhaltensrepertoire aufzunehmen.
Denn: Jesus nahe sein, das heißt auch: lerne zu achten, wie andere sich öffnen oder sich zurückziehen; lerne auf das
einzugehen, was andere von sich zeigen;
lerne auch, dich zurücknehmen zu können, nicht aufdringlich zu sein,
sondern sei so, dass andere sich bei dir öffnen können.
In diesen Wochen lernen wir, dass es auf unsere Phantasie ankommt, wie wir auch in der momentanen Situation Türen zueinander öffnen können. Durch einen Anruf, eine Mail, die gute alte Postkarte oder einen Brief.
Ich bin die Tür - das bedeutet aber in allem: Türen öffnen und schließen ist auch immer etwas Heiliges.
Wenn Türen nicht mehr ernst genommen werden, beginnt die Gewalt.
Auch an inneren Türen ist das so.
Das Wort Jesu von der Tür ist keine eindeutige Weisung.
Was zu tun ist, liegt natürlich an uns. Was in dieser und jener Situation richtig ist, muss ich selber sehen.
Die Möglichkeit jedenfalls ist da - Gott steht immer zwischen Tür und Angel, ganz gleichgültig, in welche Richtung wir gehen.
Durch ihn führt jede Richtung zum Leben.
Bärbel Schumacher